Protect me from what I want

Anmerkungen zur Disneyfizierung des Diskurses

Erschienen in: Künstlerhaus Wien, Soenke Gau, Katharina Schlieben (Hg.), ”Site Seeing: Die Disneyfizierung der Städte?”, b-books, Berlin, 2003


(Auszug)

An einem Abend des Jahres 1985 tauchte auf dem riesigen Spectacolor-Werbescreen am Times Square in New York eine Botschaft auf, die nicht so recht zu den ansonsten dort laufenden Werbetexten passen wollte. Der Slogan "Protect me from what I want" mutete wie der stumme Hilfeschrei des spitz zulaufenden Gebäudes an, an dem der Screen befestigt war. Doch wer war der potentielle Adressat? Und in wessen Namen wurde hier gesprochen?

Die vieldiskutierte Arbeit von Jenny Holzer mit Textelementen aus ihrer "Survival"-Serie markiert einen Höhepunkt der wiederbelebten Diskussion um den so genannten "Öffentlichen Raum" der Städte. Sie kann als symptomatisch für die beginnende Auseinandersetzung mit dem Komplex Stadt, verstanden als "sozial produzierter Raum"[i] und mit ihren repräsentationspolitischen Trägerfiguren, ihren Texten und Texturen, kurz, – mit der Produktion von Bedeutungen gesehen werden. Doch sie ist auch selbst Teil einer umfassenden Ökonomisierung und Kulturalisierung der urbanen Terrains, die in den achtziger Jahren mit der Renaissance des Urbanen als kulturelles Produkt verbunden war. Die Konjunktur der inflationär gewordenen Ausstellungsprojekte im Stadtraum und das damit einhergehende, neu formierte Genre der so genannten "Kunst im öffentlichen Raum" operierte letztlich auch entgegen aller kritischer Intention in harmonischer Komplizenschaft mit den ökonomischen Interessen einer postfordistischen Verwertungslogik, die das Städtische als Erlebnisform und Imagefaktor durch Festivalisierungspolitik und vermeintlich identitätsstiftende Programmierungen zu produzieren sucht.

Die Arbeit spricht von einem zweifachen Moment der Begehrenskonstruktion: Einerseits formuliert sie einen Anspruch, von künstlerische Seite aus in der repräsentationspolitischen Ebene der Stadt zu intervenieren, sich also mit individuellen Artikulationen, sich mit dem Subjektiven im Öffentlichen einzuschreiben. Die Arbeit bezieht ihre verstörende Kraft zu einem ganz wesentlichen Teil aus dem kalkulierten Tabubruch der Umkehrung zwischen Privatheit und Öffentlichkeit. Und andererseits suggeriert der Satz "Protect me from what I want", von dem eigenen Begehren beschützt werden zu wollen. Er spricht von einem fundamentalen Misstrauen gegenüber der Wunschökonomie des Selbst, von einem strukturell gespaltenen Subjekt im Sinne Lacans[ii], das nie vollkommene Identität erreichen kann, da es sich über das Begehren nach dem Realen, das immer nur als Mangel erscheint, definiert.[iii]

Die Ökonomie des Begehrens, seiner Produktion und Kontrolle wiederum ist natürlich auch eine Domäne der Werbestrategen und Marketingspezialisten, die spätestens in den 80er Jahren nun allerorts als Städtebau-Quereinsteiger reüssierten, und die Stadt als konsumierbares, kulturelles Produkt durchzuformen gedachten. Aus der Perspektive der Stadtmarketing-Experten  ist es von höchster Bedeutung, die Ökonomie des Begehrens mitzugestalten und im gleichen Maß Möglichkeiten zu ihrer vermeintlichen Befriedigung anzubieten. Im gleichen Jahr, in dem Jenny Holzers Installation am Times Square gezeigt wurde, beauftragte der Disney-Konzern eine Marktforschungsfirma damit herauszufinden, wie denn die Wünsche der aufkommenden Generation der "babyboomer" aussehen würden, wie Frank Roost in seinem Buch "Die Disneyfizierung der Städte"[iv] anmerkt. Wenig überraschend tauchte in diesem Zusammenhang der Begriff "neotraditional" auf, der zu einem Leitbegriff der Projekte des Disney-Konzerns wurde und auch von den Apologeten des "New Urbanism" vereinnahmt wurde[v]. Die Projekte der Developer und Planer der in den USA entstandenen "New Urbanism"-Bewegung versuchen dem Begehren wohlhabender Bevölkerungsschichten nach nostalgisch anmutenden kleinstädtischen Räumen Ausdruck zu verleihen und damit deren Wunschökonomie möglichst treffsicher zu materialisieren.

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[i] Henri Lefebvre: The Production of Space, Malden 1991, orig. 1974, S. 285

[ii] in: Jacques Lacan: Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse (1973), Weinheim 1987

[iii] Lacan begreift das Subjekt als von einem prinzipiellen Mangel strukturiert, wenn auch vom Wunsch nach transzendentaler Einheit erfüllt. Ein Subjekt, das kein autonomes Zentrum seiner Selbst ist, sondern das durch die Sprache, durch Diskurse produziert wird und das an einer spezifischen Schnittstelle von Blickverhältnissen lokalisiert ist. Lacan bricht mit der Vorstellung eines cartesianischen Subjekts, das sich mit einem rationalen, wissenschaftlichen Blick die Welt erklärt und definiert das Subjekt weniger als Sehendes, sondern vor allem als Gesehenes. In Bezugnahme auf den Phänomenologen Maurice Merleau-Ponty geht er von einer Art "Präexistenz des Blicks" aus, eines Blicks von Außen, der das Subjekt immer schon ins Bild setzt, eingeschrieben in ein Rahmenwerk kultureller Vorstellungen und sozialer Diskurse.

[iv] Frank Roost: Die Disneyfizierung der Städte, Opladen, 2000, S. 98f

[v] Ebd., S.27f, S.100