Öffentliche Abwesenheiten und abwesende Öffentlichkeiten

Erschienen in: Kunsthaus Graz (Hg.), "Sofie Thorsen, Schnitt A-A'", Silvana Editoriale, Mailand, 2012


(Auzug)

Die Arbeiten von Sofie Thorsen handeln von konkreten Orten, von spezifischen Territorien und von ihren Räumen. Insofern sind ihre Arbeiten ortsspezifisch, ohne aber dem mittlerweile kanonisierten Genre der ortsspezifischen Kunst - oder auch „site specific art" - zuordenbar zu sein. Auch die drei im Kunsthaus Graz gezeigten Arbeiten SCHNITT A-A', SPIELPLASTIKEN sowie THE ACHROMATIC ISLAND versammeln je unterschiedlich zusammengefügte Elemente dreier konkreter örtlicher und historischer Situationen zu installativen Settings.

SCHNITT A-A' setzt sich mit einem im Innenhof der Nationalgalerie Bratislava lokalisierten Kinos auseinander, SPIELPLASTIKEN thematisiert die künstlerisch-skulpturale Gestaltung von Kinderspielplätzen im Wien der Nachkriegsmoderne und THE ACHROMATIC ISLAND untersucht das lokal begrenzte Phänomen der Farbblindheit auf einer westdänischen Insel.   Die Arbeiten stellen mehrfach transformierte und schlussendlich verräumlichte Destillate von territorialen, medialen und sozialen Dispositiven dar, in deren Zentrum die Frage nach der jeweiligen Politik der Sichtbarkeit steht. Sie handeln aber auch von den Bruchlinien in den Hoffnungen der Moderne auf ein produktives, integratives Zusammenwirken von Ästhetik und Politik, von Form und Funktion. Dieser Zusammenhang aber ist von Inkongruenzen, Asymmetrien und Ungleichzeitigkeiten geprägt: Das Kino in der Nationalgalerie in Bratislava wird nach mehreren Umplanungen in reduzierter Form realisiert und selten bespielt; die zahlreichen Spielplatzskulpturen in Wien wurden bald vom Zeitgeist überholt und sind mittlerweile beinahe vollständig ausgetauscht worden; die Bewohner der Insel Fur schlussendlich sind „lebende Zeugnisse“ einer territorialen Marginalisierung und einer Ungleichzeitigkeit, die sich schließlich in biopolitischen Deformationen niederschlägt.  

Diese Untersuchung von Bruchlinien in den ästhetischen Formationen der Modern sowie die Auseinandersetzung mit den Formen der Sichtbarkeit durchziehen die Arbeiten von Sofie Thorsen deutlich. Es sind Arbeiten, die selbst als Interventionen in den Räumen der Sichtbarkeit zu lesen sind. Nicht nur ihre Topoi handeln von den Produktionsformen von Sichtbarkeit, auch die Form des  Zeigens selbst, das Ausstellen, stellt eine zentrale Ebene des Intervenierens in den Dispositiven der Sichtbarkeit dar. Darin manifestiert sich eine Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Grundbedingungen des Sehens, die in der Moderne radikal re-konfiguriert wurden und an deren Folgen wir kulturell und technologisch immer noch laborieren. Entscheidend dabei ist aber nicht nur eine Analyse dessen, was uns unmittelbar als sichtbar erscheint, sondern auch der historischen Produktionsformen von Sichtbarkeit. John Rajchman beschrieb Michel Foucaults Umgang mit dem Begriff der Sichtbarkeit folgendermaßen: „Seine Hypothese lautet, dass eine Art ‚positives Unbewusstes’ des Sehens existieren müsste, welches nicht bestimmt, was gesehen wird, sondern gesehen werden kann. Nach seiner Auffassung sind nicht alle Wege des Visualisierens, oder Sichtbarmachens gleichzeitig gangbar. Eine Periode lässt nur einige Dinge zu sehen zu und andere nicht. Sie ‚beleuchtet’ manches und verbannt anderes in den Schatten"[1].

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[1] John Rajchman: "Foucault's Kunst des Sehens". in: Tom Holert: Imagineering. Visuelle Kultur und Politik der Sichtbarkeit. Oktagon Verlag, Köln, 2000, S.42