Architekturen des Raums
Erschienen in: Fakultät7 der TU Berlin (Hg.), ”Architekturrausch”, Jovis, Berlin, 2005
Raum ist ein Begriff, der in der Architektur wie selbstverständlich eine zentrale Stellung einnimmt, ein Begriff, um dessen Entstehungsgeschichte und Bedeutungsverschiebungen in der Architektur und in den angrenzenden Disziplinen es in den folgenden Zeilen gehen wird.
Zunächst erscheint es paradox, dass nach dem vermeintlichen Siegeszug einer in den 90er Jahren vielbeschworenen ”Visual Culture”[1], die sich mit dem Slogan des ”Pictorial Turns”[2] in die Kunstgeschichte eingeschrieben hatte, gerade der Begriff des ”Raums” in den letzten Jahren wieder zu einer Zentralkategorie vieler Diskurse wurde. Stand in der Kunst die Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen, dem urbanen und dem institutionellen Raum als einem Indikator von Mikropolitiken der Macht[3] im Mittelpunkt des Interesses, so wird der Raum in den vielfältigen Debatten rund um Postkolonialismus, Migrationsbewegungen und Globalisierung in Bereichen wie Geografie, Soziologie, Cultural Studies oder Philosophie in den Mittelpunkt gerückt. Die Beschäftigung mit dem Raum hat Konjunktur und etwas verspätet scheint sich damit zumindest vordergründig die These Michel Foucaults zu bestätigen, wonach der Raum als gegenwärtiges gesellschaftstheoretisches Ordnungsmodell das vorhergegangene Modell der Zeit, – der Geschichte als ”große Obsession des 19. Jahrhunderts” ablösen würde[4]. Allerdings, mit der Moderne ist auch genau diese Entgegensetzung von Raum und Zeit in die Krise geraten. Durch die Einlagerung von Bildmedien und ”virtuellen Räumen” in die materielle Umgebung sieht sich vor allem die Architektur als Disziplin einem Wettbewerb um Aufmerksamkeit mit Fernsehbildschirmen, Mobiltelefonen, Screens usw. ausgesetzt. Und die politisch-ökonomische Entwicklung zu einer gleichzeitigen Globalisierung wie auch Regionalisierung von Lebens,- Konsumptions,- und Produktionszusammenhängen ließ Autoren wieFrederic Jameson vom „Hyper-Raum“[5] sprechen, der von einer Überlagerung mehrerer räumlicher und zeitlicher Vektoren an einem Ort geprägt ist[6]. Damit wird auch der Begriff des Raums selbst einer Revision unterzogen, was sich etwa bei Martina Löw in Form einer Kritik am Konzept des ”Container-Raums” äußert,der aufgrund seiner Limitierung auf die dreidimensionale Geometrie eines homogenen, linearen Weltbildes nicht mehr zeitgemäß sei. Statt dessen wird im Rekurs auf Entwicklungen in der Physik, in den Wahrnehmungstheorien und in den elektronischen Medien ein prozessualer Raumbegriff eingefordert, der Subjekte, soziale Güter und Objekte in einem relationalen, interdependenten Bezugsfeld lokalisiert[7].
Löw geht davon aus, daß Raum etwas ist, das sich als soziales Phänomen in gesellschaftlichen Prozessen konstituiert. Damit verschiebt sich der Fokus vom Modell einer quantifizierbaren, objektivistischen Sichtweise des Raums hin zu einem Raumbegriff, der primär in der Wahrnehmung des Subjekts in seiner Bewegung durch die Zeit verankert ist. Somit wird die Forderung aufgestellt, den Begriff und die Vorstellung vom Raum zu dynamisieren und den diskursiven wie auch den alltagskulturellen Entwicklungen anzupassen. Die damit verbundene Verschiebung der Definitionsmacht über den Raum vom Architekten hin zum wahrnehmenden Benutzer durch den Prozeß der Raumkonstitution und die damit einhergehende Forderung nach einem transformierten Raumbegriff wird im Bereich der Architektur nur am Rande diskutiert. Zwar werden permanent neue Komposit-Wörter wie gefalteter Raum, fließender Raum, Hyperspace, Event-space, Cyberspace usw. ins Spiel gebracht, aber dieser inflationäre Umgang mit dem Begriff „Raum“ scheint eher dazu angetan, die Auseinandersetzung mit der Bedeutung des Begriffs selbst hintan zu halten und ihn als quasi neutralen Behälter zu benutzen, der beliebig mit einem Präfix nach dem anderen gefüllt werden kann[8].
[1] Siehe dazu z.B.: Mirzoeff, Nicholas: An Introduction to Visual Culture, London/New York 1999
[2] Mitchell, W.J.T. „The Pictorial Turn“; in Kravagna, Christian: Privileg Blick. Kritik der visuellen Kultur. Berlin: 1997
[3] siehe dazu u.a.: Rakatansky, Mark: „Spatial Narratives“; nachgedruckt in: Architekturzentrum Wien: Sturm der Ruhe. What is Architecture, Salzburg 2001, S. 82-128
[4] Foucault, Michel: „Andere Räume“; in: Barck, Karlheinz u.a.: Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik. Leipzig 1990, S.34-46.
[5] siehe dazu: Jameson, Frederic: Postmodernism: Or, the Cultural Logic of Late Capitalism, Durham, NC, 1991
[6] eine detaillierte Diskussion der Raumkonzepte von Jameson ist zu finden in: Smith, Michael Peter: Transnational Urbanism: Locating Globalization, Oxford, 2000
[7] Löw, Martina: Raumsoziologie, Frankfurt am Main, 2001
[8] Bezeichnenderweise übertitelte Mark Wigley in seinem 1994 erschienenen Buch Architektur und Dekonstruktion: Derrida’s Phantom das abschließende Kapitel mit „Das Schweigen in Bezug auf den Raum“.
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