Architektur als Diagramm sozialer Rollen

Zu einer sozialen Ästhetik in der japanischen Architektur der Gegenwart.

Erschienen in: dérive, Nr. 53, hrsg von Christoph Laimer, Elke Rauth, Wien, 2013


(Auszug)

Als im März 2011 ein Tsunami im Anschluss an das Tohoku Erdbeben ganze Landstriche entlang der Küste Nordjapans verwüstete, bedeutete das nicht nur eine menschliche Tragödie immensen Ausmaßes, sondern möglicherweise auch das Ende einer Ära in der japanischen Architektur: Jener konzeptuelle, radikal reduzierte Minimalismus, der in Magazinen, Blogs und Publikationen zirkulierte und sich primär in Form von Einfamilienhäusern auf immer kleiner werdenden Grundstücken materialisierte, erschien danach umso elitärer und den tatsächlichen sozialen Problematiken umso enthobener.  

 

Die Katastrophe zeigte, wie machtlos und wie weit entfernt ArchitektInnen und UrbanistInnen von den EntscheidungsträgerInnen waren. In einer Welle solidarischer Anstrengungen wurden sofort nach dem Ereignis unzählige Hilfsprojekte ins Leben gerufen, Initiativen zur Neuansiedlung zerstörter Küstenorte aufgebaut und verschiedenste Formen von sozialen Engagements gestartet. Projekte wie das maßgeblich von Toyo Ito initiierte Home For All mit einer Serie von Gemeinschaftsgebäuden in betroffenen Dörfern oder das unter anderem von Hitoshi Abe und Yasuaki Onoda lancierte Projekt-Netzwerk Archi-Aid (1) stellen hier nur die Spitzen eines Eisbergs dar. Die Publikation des von Masato Nakamura koordinierten WAWA Project (2) mit etwa 70 Beispielen aus den Bereichen Architektur, Kunst und Design oder die von Taro Igarashi kuratierte Ausstellung How Did Architects Respond Immediately After 3/11 – The Great East Japanese Earthquake (3) mit mehr als 50 Projekten bilden ebenfalls einen Teil der Vielzahl von situativ entwickelten Projekten ab, die allesamt unter dem Label "Bottom-up Initiativen" eingeordnet werden können. Trotz dieser höchst beeindruckenden Dichte des Engagements von Seiten der unabhängigen ArchitektInnen, DesignerInnen, KünstlerInnen wurde aber auch offenbar, wie schwierig sich Partizipation im Rahmen der staatlich gesteuerten Wiederaufbau-Projekte darstellt. Angesichts der politischen Entscheidungsschwäche, der Intransparenz von Entscheidungen der Behörden und der generellen Skepsis der Regierungsstellen in Bezug auf die Kooperation mit NGO-Initiativen haben sich viele der AkteurInnen vorerst wieder auf eine Abwarte-Position zurückgezogen.

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