Agonale Räume

Zur Sichtbarmachung von Differenz in der Relation von Raum und Öffentlichkeit.

Erschienen in: theatercombinat, Claudia Bosse, Christina Nägele (Hg.), "Skizzen des Verschwindens. Theatrale Raumproduktionen", Revolver Verlag, Frankfurt, 2007


(Auszug)

1. Urbaner Raum als Symbol für Öffentlichkeit

 

Den urbanen Raum als Symbol und Ausdruck der Form der jeweiligen Gemeinschaft zu betrachten, ist ein archetypisches Thema der städtebaulichen Rhetorik. So waren architektonische Entwürfe städtbaulicher Dimension immer auch als quasi verräumlichtes Gesellschaftsmodell zu verstehen. In der klassichen Moderne waren Walter Gropius’ Anspruch der „totalen Gestaltung“, Frank Lloyd Whrights „Broadacre City“, Hilbersheimers Zeilenstädte oder Le Corbusiers „Cité Radieuse“, um nur einige zu nennen, Modelle einer totalen Gestaltung in städtebaulichen Dimensionen, die aufs Engste mit den Möglichkeiten einer expandierenden Massenproduktion verbunden waren.

Spätestens mit der Postmoderne und ihrer impliziten Kritik an großdimensionalen, einheitlichen Gesamtplanungen gerät dieser Anspruch von der Darstellbarkeit und Planbarkeit von Totalität zwar in die Krise, er wird aber im Übergang zur image- und bildorientierten Mediengesellschaft wieder unter neuen Bedingungen aktualisiert. Waren es in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts vor allem Ansätze rund um Fragen der Partizipation in Planungsabläufen, die im Zuge gesellschaftlicher Umbrüche nach neuen Methoden suchen ließen, so sind heute, einige Jahrzehnte nach dem provokant verkündeten „Tod des Autors“, wieder vermehrt Stimmen zu vernehmen, die klare Leitbilder einfordern. Es geht darum, dem angeblichen Verlust von gesellschaftlichen Leitbildern in unserer Epoche identitätsstiftende und vor allem marketinggerechte Momente zu liefern und Architektur dient dabei nur allzu gerne als Hoffnungsträger. Robert Kaltenbrunner[1] hat darauf hingewiesen, dass es immer weniger um Fragen der lokalen bzw. regionalen Probleme geht, sondern um Imageproduktionen, die in erster Linie um den immer entscheidender werdenden interregionalen Wettbewerb zwischen Städten innerhalb einer „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ geht. Speziell die Kunst und Kultur wird gerne dafür eingesetzt, mit starken Repräsentationen bzw. spektakulären Gebäuden inhärente Widersprüche und Dissonanzen zu überdecken. Diese so genannten „weichen Standortfaktoren“ sind auf eine marketinggerechte Portionierung angewiesen, die klar benennbare Images kreieren soll. Im Gegensatz dazu schafft die realiter zu beobachtende zunehmende Ausdifferenzierung der einzelnen Stadteile auch der europäischen Städte, die Dispersion der Stadtstrukturen ins Umland und die radikalen Verlagerungsprozesse zwischen einzelnen Stadtteilen zunächst einmal eine neue Unübersichtlichkeit und Uneinheitlichkeit. Genau hierin erkennen nun manche Konzepte zur Stadt der Gegenwart ihr Potential. Mit dem Begriff der „Stadt der verschärften Differenz“, der „City of Exacerbated Difference“ oder kurz: „COED“[2] stellt Rem Koolhaas diese Prozesse als Chance für die Zukunft dar.

 

„Die traditionelle Stadt strebt nach Gleichgewicht, Harmonie und einem gewissen Grad von Homogenität. Die City of Exacerbated Difference gründet sich dagegen auf die größtmögliche Differenz einzelner Teile – komplementär und konkurrierend. In einem Klima permanenter Panik zählt für die ‚City of Exacerbated Difference’ nicht das methodische Hinarbeiten auf ein Ideal, sondern das opportunistische Ausbeuten von Zufallstreffern, Unglücksfällen und Unfertigem.“

 

Diese Beschreibung eines städtischen Aggregatszustandes, der laut Koolhaas zunächst zeitgenössische chinesische Metropolen charakterisiert, stellt die Verschärfung städtebaulicher, raumstruktureller, sozialer und kultureller Differenzen als Ergebnis eines kaum steuerbaren Wachstums dar. Diese „eigenschaftslose Stadt“ gewinnt damit aber auch an Beweglichkeit und entledigt sich des historischen Ballasts, den die europäische Stadt mit sich trägt. Das Negieren einer verbindlichen Ästhetik der Stadt bedeutet hier allerdings nicht unbedingt das Austragen einer realpolitischen Form von Differenz. Nur unter diesen Vorzeichen ist der von Rem Koolhaas geprägte Begriff der „Stadt der verschärften Unterschiede“ zu lesen, insofern die gesteigerte ästhetische Differenz eine Art verräumlichtes Distinktionsmodell schafft, das einem Bild der Vielfalt das Wort spricht, ohne sich aber von der politischen und vor allem ökonomischen Homogenität verabschieden zu müssen.

Es liegt der Schluss nahe, dass die architektonischen Parameter nicht unbedingt mit den je spezifischen Strukturen der Öffentlichkeit korrelieren, sondern vielmehr werden diese im Namen einer vermarktbaren Imageproduktion maskiert. Bilder wie die „Gute Stube Berlin“ oder „Leuchtturmgebäude“ wie das Guggenheim Bilbao stehen dann für eine Kulturalisierung und Musealisierung, die Städte im Namen einer „inszenierten Authentizität“ dem konsumierenden Blick des Touristen verkaufen wollen. Angesichts der von Koolhaas als Potential der Stadtentwicklung der Zukunft beschriebenen „Stadt der verschärften Unterschiede“ setzt man vielerorts auf Musealisierung und Inszenierung, um die vermeintlich „drohende Auflösung raum-zeitlicher Beziehungsmuster aufzuhalten, auch wenn sich ihre fiktive Realität an der Inhomogenität des postindustriellen Raums reibt.“[3](....)

 

[1] Robert Kaltenbrunner: Sowohl als auch. Über die Notwendigkeit urbanistischer Leitbilder, Frankfurter Rundschau online. Erscheinungsdatum 28.04.2004

[2] Rem Koolhaas: Great Leap Forward, Project on the City I, Taschen, 2001

[3] Regina Bittner: „Die Stadt ausstellen, die ausgestellte Stadt“, Vortrag im Rahmen des Vortragsabends Architektur: zu Hause im White Cube? im Europäischenhaus der Stadtkultur e.V.: stadt.bau.raum am 12. April 2005